Interviewreihe mit Nikolaus Kuhnert

21. Mai 2024

In: 50 Jahre ARCH+: Projekt und Utopie. Nikolaus Kuhnert, Herausgeber sowie leitender Redakteur der Zeitschrift für theorieorientierte Architektur Arch+ im Gespräch mit Stephan Becker, Kristina Herresthal und Anh-Linh Ngo


Das Gespräch in der ARCH+ 229 Am Ende: Architektur / 50 Jahre ARCH+: Projekt und Utopie (Juli 2017) ist Teil eines Oral History-Projekts, das wir, Stephan Becker, Kristina Herresthal & Anh Linh Ngo mit Nikolaus Kuhnert entwickelt haben. Vorangegangen waren Gespräche über Architektur & Politik, über Kindheit, Jugend und Studienjahre von Nikolaus Kuhnert, die als Videos hier verfügbar sind. Auszug:

Die 1980er-Jahre: Von Ökologie zur Pattern Language

Kristina Herresthal: In den 1980er-Jahren – eigentlich recht spät – wurde Ökologie ein wichtiges Thema für die ARCH+. Das Thema war anfänglich zudem politisch mit den Grünen verbunden.

NK: Es war ein weiterer Versuch von uns, das einzulösen, was Marc Fester im Editorial „Tendenzwende“ in ARCH+ 27 gefordert hatte, dass die ARCH+ nicht nur eine linke Zeitschrift für linke Intellektuelle sein darf. Die Ökopaxbewegung gewann damals durch die Anti-Atomkraft-Initiativen an Bedeutung. Wir versuchten die Themen der Grünen, die sich ab 1980 als Partei organisierten, aufzugreifen. Auch wenn es schon früher vereinzelt Beiträge zum Thema Ökologie gab, haben wir erst 1980 mit ARCH+ 51/52 das erste Themenheft dazu veröffentlicht, darauf folgte ARCH+ 62 Öko-Logisch Planen und Bauen (II). Letztere Ausgabe war auch ein Versuch, die ARCH+ durch Kooperation mit dem Bund für Architektur & Baubiologie in diesem Bereich zu fundieren. Es gab auch Überlegungen, die ARCH+ zu seinem Trägerorgan zu machen. Wir versuchten darüber hinaus, die Rolle der Kommune, dem damaligen Leitorgan der Grünen, in spezifischer Art und Weise auszufüllen.

KH: Ihr habt das Thema aber auch anders interpretiert und durchaus distanziert-kritisch betrachtet.

NK: Angefangen mit ARCH+ 80 Lust auf Lehm haben wir das Thema Ökologie, heute würde man Nachhaltigkeit sagen, mit dem Thema Selbstbau verbunden. Wir haben eine Serie von Heften zu ursprünglichen Bauweisen wie Lehm, Holz und Ziegel veröffentlicht, die von Bruno Schindler kritisch begleitet wurden. Ich hatte ihn in Aachen über Günther Uhlig kennen gelernt, der einen Film über Selbstbauprojekte gedreht hatte. In dem Film wurde auch ein Projekt von Bruno vorgestellt. Was mich an ihm faszinierte, war, dass er die Selbstbaubewegung historisieren und kritisch reflektieren konnte. Als ich 1983 die ARCH+ als leitender Redakteur übernommen hatte, wurde Bruno Schindler für mich zentral, weil er grundsätzlich kritisch gegenüber der ARCH+ eingestellt war und wir deshalb Themen kontrovers mit ihm diskutieren konnten. Für die ARCH+ hat er Themen jeweils mit einer so genannten schwarzen Doppelseite ein- und ausgeleitet. Später haben wir auch Projekte und Essays von ihm veröffentlicht. Die Zusammenarbeit kulminierte in zwei Ausgaben, die er für ARCH+ zusammenstellte, redigierte und layoutete: ARCH+ 89 Schauplätze der Macht und ARCH+ 96/97 Dekonstruktive Architektur. Die Zusammenarbeit mit Bruno Schindler war eine der lehrreichsten Phasen.

KH: Ihr habt die Ökologiebewegung auch in dem Sinne historisiert, dass Ihr Kontinuitäten seit der NS-Zeit aufgezeigt habt, beispielsweise in ARCH+ 72 Regionales Bauen und in ARCH+ 81 Vom landschaftsgebundenen zum ökologischen Bauen. Wie kam es zu diesen Heften?

NK: Diese Ausgaben gehen auf die intensive Kooperation mit Dieter Hoffmann-Axthelm zurück. Die Themen dieser Ausgaben – eigentlich historisch ‚rechte‘ Themen wie Heimatschutz und landschaftsgebundenes Bauen – haben wir in politischer Absicht aufgegriffen, um sie von links zu besetzen und gleichzeitig die historischen Traditionslinien der Ökopaxbewegung aufzuarbeiten. Diese Themen hatten damals auch eine materielle Basis, weil zu dieser Zeit immer mehr Linke aus den Städten aufs Land zogen und dort versuchten, ihre Lebensvorstellungen zu realisieren, durch Gründung von Landkommunen, biologische Landwirtschaft und so weiter. Im Übrigen sind das Themen, die heute auch von rechts besetzt werden. Diese zweifache Auseinandersetzung mit der Ökologiebewegung, einerseits mit ihren vergessenen Ursprüngen, andererseits mit ihrer Gegenwart, kulminierte 1984 in Heft 78, in dem wir Hugo Kükelhaus als eine gegenwärtige und historische Figur vorstellten. Kükelhaus war einer der Gurus der damaligen Alternativbewegung. Aber er hatte eine Vorgeschichte. In den 1930er-Jahren war er in der konservativen Dorfsiedlung Kaldenberg tätig. Den Krieg überlebte er bei Potsdam und entwickelte dort nach 1945 Anleitungen zum Selbstbau. Danach ging er in die Bundesrepublik und war im Umkreis des katholischen Kirchenbauers Emil Steffann tätig. Wir haben historisch aufgearbeitet, was Kükelhaus von den 1930er- bis in die 1970er-Jahre gemacht hatte. Das hat Furore gemacht. Dieter Hoffmann-Axthelm wurde dafür fast persönlich angegriffen, weil er offengelegt hatte, was Kükelhaus war: ein Chamäleon, das seismographisch auf die Zeitumstände reagierte, braun, schwarz und grün. (…)

Quelle: Nikolaus Kuhnert, Stephan Becker, Kristina Herresthal, Anh-Linh Ngo: „50 Jahre ARCH+: Projekt und Utopie“, in: ARCH+ 229 Am Ende: Architektur / 50 Jahre ARCH+: Projekt und Utopie (Juli 2017), S. 7–19

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